Auto fahren in Griechenland

Auto fahren in Griechenland

 

Wir wohnen ja ziemlich abgelegen, genießen hier die Ruhe, den unbeschreiblichen Ausblick aufs Meer, den Blick ins Grüne und die Nähe zum Strand. Der einzige Haken ist, dass wir - wie der Kölner sagt - JWD "janz weit drusse" sind und damit sehr aufs Autofahren angewiesen.

Inzwischen fahre ich hier ja genau so sicher wie in Deutschland, allerdings hat das tatsächlich ein bisschen gedauert. Warum?...

Fangen wir mal bei Lutz' täglichem Weg zur Schule an bzw. meinem Weg zu allen Freundinnen, zu Ikea, Praktiker, Jumbo und überhaupt zu allen Zielen, die uns der Zivilisation etwas näher bringen...

 

Da die Straße zum Rest der Welt natürlich auch von allen anderen genutzt wird, die hier wohnen, wird sie von einer einspurige Dorfstraße sehr schnell zweispurig, dann dreispurig, wieder zweispurig und zurück auf dreispurig und noch mal zweispurig und zum guten Schluss wieder dreispurig... mal mit und mal ohne Abbiegerspur und mal mit und mal ohne Randstreifen... der übrigens grundsätzlich nicht als solcher genutzt wird, sondern immer als vierte Spur willkommen geheißen wird...

Schöne breite Straße! Das hört sich doch toll an?

Wäre es tatsächlich, wenn es Fahrbahnbegrenzungen gäbe, also die netten weißen Striche, die einem sagen, wo Deine Spur aufhört und die Nachbarspur anfängt...

Gibt es aber nicht...

Und woher weiß ich dann, wo ich fahren muss?

Ganz einfach:

Immer dem Vordermann hinterher!

 

Dazu kommt, dass die Straße eben nicht einfach 1-2-3spurig wird und bleibt, sondern zwischendurch mal plötzlich eine Spur ohne Vorankündigung endet und zwar an einer Leitplanke ohne die Möglichkeit, auszuweichen - mein Mann behauptet steif und fest, da stünde ein Hinweisschild - ich habe es allerdings bis heute noch nicht endeckt und bin jedesmal zu Tode erschrocken, wenn die Spur plötzlich nicht mehr da ist!!!

Dass unsere Straße nach Thessaloniki so häufig von zwei auf dreispurig und zurück wechselt hat übrigens an einer Stelle einen guten Grund:

Auf der rechten Spur steht nämlich eine Kirche, die bei der Erweiterung der Schnellstraße offensichtlich nicht weichen sollte und wollte!

Das Gute daran: Wenn man hier die Kurve nicht mehr kriegt, kann man sich direkt in Gottes Hand begeben - man rast nämlich direkt auf das Kirchenportal zu!... Willkommen Ihr Sünder!

 

Meine Lösung?

Wieder ganz einfach:

Dann fahre ich halt immer schön auf der Mittelspur - die bleibt einem von unserem Dorf bis in die Innenstadt erhalten!

Ihr denkt jetzt, dann bin ich doch ein böses böses Verkehrshindernis, wenn ich mich so verhalte?...

Nein! Nein! Keine Sorge! Wie ich in den letzten Wochen festgestellt habe, mache ich damit alles genau richtig!

Auf der mittleren Spur fahren nämlich alle langsameren oder unsicheren Fahrer (alte Leute, Fahranfänger und bisher auch ich) - auf der linken Spur fahren die ganz normalen Leute, die etwas schneller voran kommen wollen (und inzwischen ab und zu auch ich) - und auf der rechten Spur fahren die fortgeschrittenen Verrückten und Risikosucher, denen die linke und die mittlere Spur zu langsam sind und die daher alle mal eben rechts überholen...

Unsere Freund Jorgo hat uns irgendwann lachend erzählt:

"Schade, dass alles so kompliziert geworden ist! Vor ein paar Jahren hat man dem Prüfer 50 € in die Hand gedrückt - dann konnte man nicht durchfallen... Jetzt hat die Regierung angeordnet, dass immer noch ein zweiter Prüfer mit im Auto sitzt, damit man den ersten Prüfer nicht bestechen kann! Das ist wirklich wirklich lästig, denn jetzt muss man zwei mal 50 € investieren!"...

 

Also Chaos? Nein! Gar nicht! Wenn man das einmal weiß, klappt das tatsächlich alles ganz gut, ohne Drängeln und Hupen; man muss nur als Deutscher sehr aufpassen, nicht ohne zu Gucken nach rechts zu ziehen - das kann ziemlich schief gehen...

 

Bei Regen werden alle "Fahrspuren" übrigens merklich schmaler, weil keiner rechts am Rand fahren will, wo die Straße überschwemmt ist und man die Schlaglöcher nicht sieht...

A propos Schlaglöcher: Im Griechenland wird extrem wenig Geld in den Straßenbau investiert und sobald man von einer Hauptstraße abzweigt, sollte man bei starkem Regen tatsächlich nur Wege fahren, die man kennt - Schlaglöcher lauern dann nämlich überall und zwar schön von den Riesepfützen versteckt... Eine der wichtgsten Ausfahrten, die von der Stadtautobahn abzweigt ist so eine Stelle: Die "Ausfahrt" besteht nämlich nur aus einer großen Lücke in der Leitplanke, hinter der sich ein Schotterweg befindet, der einfach einmal im Jahr an den tiefsten Fahrspuren neu aufgeschüttet wird. Ob sich unter den kleinen Seen, die sich dort bei Regen bilden grade ein tiefer Krater oder eine aufgeschüttete Stelle befindet, ist leider nicht zu erkennen... Man fährt also einfach und hofft das Beste... hat ein bisschen was von russisch Roulette...

 

Was übrigens noch so eine Eigenart der Griechen ist, die es mir hier ein bisschen schwer gemacht hat, mich an den Verkehr zu gewöhnen, ist ihre Art und Weise, die Spur zu wechseln: Griechen ziehen grundsätzlich einfach kurz vor Deiner Kühlerhaube ihr Auto oder (auch besonders beliebt) ihr Motorrad auf Deine Spur ohne vorher zu blinken oder sonst irgendwelche Zeichen zu geben. Am Anfang stand ich jedes mal kurz vor einem Herzinfarkt ; inzwischen habe ich mich daran gewöhnt...

Geblinkt wird hier nur beim Abbiegen in eine andere Straße - wenn überhaupt...

 

Zum Glück halte ich übrigens grundsätzlich immer zwei bis drei Wagenlängen Abstand zu meinem Vordermann. Also völlig ungriechisch - trotzdem sehr zu empfehlen, denn damit habe ich heute knapp einen Auffahrunfall verhindert!

Wenn Ihr hier kein lebendes Verkehrshindernis sein wollt, fahrt Ihr nämlich auch bei dunkelgelb noch über die Ampel, weil Euer Hintermann auf keinen Fall damit rechnet, dass Ihr an einer gelben Ampel bremst!

Im Gegenteil, die meisten Autos fahren nicht nur bei dunkelgelb, sondern auch noch bei dunkelrot über die Ampel. An der einzigen Ampel in unserem Dorf gehen die Fußgänger deshalb auch nicht über die Straße, wenn sie grün ist und wir mit dem Auto rot haben... Sie warten trotzdem, bis unser Auto weg ist, auch wenn wir als gute Deutsche jedes Mal brav bei rot stehen bleiben...

Heute Mittag hatte ich also leider den vermutlich einzigen Ausnahme-Autofahrer in ganz Griechenland vor mir (vielleicht ein frisch eingereister Deutscher in einem griechischen Leihwagen?):

Die Ampel springt auf gelb, mein Vordermann gibt Gas, ich auch und als er grade komplett an der Ampel vorbei ist, überlegt er es sich anders und tritt voll auf die Bremse...

Neeeeeeiiiiiiiiiinnnn!!! Bööööseeee!!!

Ich habe ja Gott sei Dank wie immer zwei Autolängen Platz gelassen (noch mal: seeeehhhr zu empfehlen!) und trete die Bremse sofort bis zum Anschlag durch...lasse los... bremse wieder... lasse los... bremse wieder (das habe ich ganz früher mal von meinem Bruder gelernt - ersetzt bei alten Autos das ABS)... es quiiiiiiiiiiiiiietscht unglaublich... und stinkt tierisch nach Gummi... und ich rutsche und rutsche und rutsche... und es fühlt sich witzigerweise genau so an, wie Bremsen auf Glatteis (was ich zum Glück oft genug üben konnte, als wir für ein paar Jahre im bergischen Land gewohnt haben)... das andere Auto kommt immer näher... und ich rutsche immer noch weiter darauf zu... und ziehe ganz langsam und vorsichtig ein bisschen nach rechts, dann wieder ganz vorsichtig nach links, um den Weg zu verlängern... wie gesagt genau wie auf Glatteis... und... es klappt!!!... Dreissig Zentimeter hinter meinem Vordermann komme ich zum Stehen!... Puh!!!... ... ...

DANN erst überlegt sich der Depp doch tatsächlich noch ein bisschen vorzufahren, weil ich ihm irgendwie fast im Kofferraum hänge -

Na danke!!!

Was das Ganze tatsächlich fast zum Crash hat werden lassen ist übrigens der Straßenbelag hier, der extrem abgefahren und glatt ist; bei Sonne blendet der Asphalt wie ein Spiegel und bei Regen wird er zur Rutschbahn - ein bisschen so wie bei uns in den siebziger Jahren...

 

Und übrigens gibt es auch keine Haltelinie vor den Ampeln...

Woher man dann weiß, wo man halten soll?

Wieder mal ganz einfach:

Jeder hält so, dass er für sein subjektives Empfinden die Ampel noch gut sehen kann, aber man hält allerspätestens an, wenn man mit der Ampel auf gleicher Höhe ist...

 

So, was solltet Ihr noch wissen, wenn Ihr in Griechenland Auto fahrt? Also:

Wenn Ihr auf einer einspurigen Straße unterwegs seid, die breit genug ist, fahrt Ihr rechts, weil es Euch an jeder Ampel passieren kann, dass sich spontan eine Reihe von Linksabbiegern bildet.

Beim Rechtsfahren müsst Ihr aber widerum ziemlich aufpassen, weil die Griechen es völlig normal finden, ihr Auto einfach rechts auf der Straße abzustellen, um sich zum Beispiel einen Kaffee zu holen, auch wenn sie damit den Verkehr behindern und auch wenn fünf Meter weiter oder auf der anderen Straßenseite Dutzende von Parkplätzen sind. Auf Plätzen oder breiteren Straßen stellen einige Griechen ihr Auto auch gerne mal mitten in der Mitte ab... ist doch genügend Platz da, um recht und links daran vorbei zu fahren!

 

Von meinen Besuchern mit Mietwagen werde ich häufig nach den Verkehrsregeln hier gefragt... Also:

Eigentlich gilt hier genau wie bei uns "rechts vor links"... So weit so gut...

Uneigentlich sieht es  aber etwas anders aus, weil es hier auch genau wie bei uns Vorfahrtsstraßen gibt... die aber leider nicht wie bei uns durch gelb-weiße viereckige Schilder gekennzeichnet sind, sondern... gar nicht!

Dass man auf einer Vorfahrtsstraße ist, merkt man einzig und alleine daran, dass die anderen Straßen, die von rechts oder links kommen, Stoppschilder haben!... die man aber selber leider nur von hinten sieht und daher leicht übersieht und die häufig in wuchernden Büschen oder so versteckt sind... Hhhhmmm, also was tun?

Und auch das ist eigentlich ganz einfach:

Wenn ich durch einen Ort fahre, gucke ich bei jeder Querstraße, ob das Auto das da kommt abbremst oder nicht und verlasse mich erst dann auf meine Vorfahrt, wenn ich sicher bin, dass der Andere auch akzeptiert hat, dass ich zuerst fahren darf...


Das Gleiche gilt übrigens auch für Kreisverkehre, die es hier massenhaft gibt: Am besten man orientiert sich an den Anderen! 

Als ich noch dachte, dass es hier feste Regeln für Kreisverkehre gibt, habe ich mal einen netten griechischen Kollegen gefragt, wie diese denn lauten und er hatte eine sehr eindeutige Antwort für mich: Ganz einfach! Da wo früher eine Kreuzung war und jetzt ein Kreisverkehr ist, gilt rechts vor links... 

Aha.. Alles klar... Sehr einfach und klar...Aber woher weiß ich, ob hier früher mal eine Kreuzung war???... 

Tja, darauf konnte der nette Kollege dann auch nur lachen und mit den Schultern zucken...

 

Und dann gibt es da noch die doppelt durchgezogen Mittellinien, die man genau wie bei uns nicht überfahren darf... Diese Doppellinien sind fast durch die kompletten Dörfer und oft auch auf Landstraßen gezogen, um den Verkehr der Hauptstraßen am Fließen zu halten...

Und auch daran hält sich hier absolut Niemand!...

Sonst müsste man ja jedes Mal zum Abbiegen ewig weit bis zur nächsten Ampel fahren...

ABER: Wenn du erwischt wirst, wie du über so eine Doppellinie fährst, nimmt dir die Polizei für drei Wochen... Nein! Nicht deinen Führerschein ab... sondern dein Auto weg! (Das ist einer Lehrerin hier passiert).

Das Risiko ist allerdings extrem gering: In den sechs Monaten, die wir jetzt hier sind, haben wir genau drei Polizisten gesehen...

 

Und zu guter Letzt:

Auch wenn man sich hier gut an den Verkehr gewöhnt hat und ohne Rücksicht auf rote Ampeln, Fußgänger, Verkehrsregeln und andere Autofahrer fröhlich seiner Wege zieht, gibt es immer noch unkalkulierbare Hindernisse, denen auch der abgebrühteste Fahrer nicht gewachsen ist:

Ich spreche von den Straßenhunden und -katzen, die einem gerne mal völlig unerwartet vors Auto springen!...

Könnte man doch eigentlich als Event anbieten: 

"Fahrertraining auf Glatteis mit lebendem Hindernisparcour... Exklusiv in Thessaloniki!"

 

Übrigens

In Griechenland gibt es laut google maps ein wunderbar dichtes Straßennetz - selbst in den entlegendsten Gegenden! Tolle Sache oder? Nicht mehr ganz so toll, wenn Ihr Euch auf Euer Navi verlasst und dem kürzesten, schnellsten oder überhaupt einem Weg zu Eurem Ziel sucht!

Google maps erkennt nämlich leider nicht, ob der Strich, den es da vom All aus sieht eine asphaltierte Straße, eine Schotterpiste, ein Feldweg, ein Spazierweg, eine sandige Strandpiste, ein nicht vorhandener Dünenweg oder eine Wiese ist, über die mal ein Weg führte, der inzwischen aber völlig zugewachsen ist. Und all diese Wege werden natürlich nicht gewartet, sondern von Regen, Wind und Wetter und den Fahrzeugen, die sich trotzdem trauen da lang zu fahren, ausgespült und ausgefahren und so steht man dann sehr häufig mitten im Nichts umgeben von Wiesen und Feldern oder Strand und Dünen und versucht verzweifelt per Augenmerk zu schätzen, ob die Karrosserie deines Fahrzeugs hoch genug ist, sodass man nicht aufsetzt und stecken bleibt und ob die Reifen genug Profil haben, um in den sandigen Abschnitten nicht durchzudrehen oder wie tief wohl diese Riesenpfütze da vor einem ist... Wer es im Urlaub weniger aufregend mag, dem rate ich deshalb, sich einen Geländewagen zu leihen oder die asphaltierten Straßen auf keinen Fall zu verlassen, egal was das Navi sagt! 

Für diejenigen, die Abenteuer-Touren lieben: Willkommen im Paradies! Hier gibt es offroad-Strecken für jeden Geschmack! Und das Beste: Auf all diesen Strecken begegnen einem garantiert keine anderen Autofahrer und man muss sich auch nicht mit fehlenden Fahrbahnmarkierungen oder Straßenhunden rumschlagen... Dass die Spuren plötzlich enden, passiert einem allerdings auch hier; nur fährt man hier nicht gegen eine Mauer oder eine Leitplanke sondern landet in der Regel mitten im ... Nichts ... 

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